Für den Katalog der 2. FÜRSTENFELDER WASSER BIENNALE 2010 YAHOOS-GARDEN, 2010

Wer fragt, bekommt nichts
Gedanken zu temporären künstlerischen Interventionen in der Öffentlichkeit aus Berliner Sicht

Im Zusammenhang mit Kunst über Genehmigungen nachzudenken, wirkt antagonistisch, ist aber
außerhalb der Kunsträume Alltag und wirft viele Fragen auf: wer entscheidet über Handlungen im
Raum, der als öffentlicher/teilöffentlicher/privater tituliert oder zumindest als solcher empfunden wird,
wer bestimmt über Genehmigungsrelevanz oder Qualitäten der darin sich vollziehenden Handlungen?
Alles, was unter dem Begriff "öffentlich" subsumierbar ist, also im weitesten Sinne Raum der
Allgemeinheit und als solcher vom Staat verwaltet und gepflegt, ist nicht eindeutig
Verantwortungsbereichen zugeordnet und treibt gelegentlich bizarre Blüten.

Für eine Videoprojektion, die eine Woche lang mehrere Stunden am Tag betrieben wurde, war es
nötig, Genehmigungen von einer Bundesbehörde (Wasserstraßen), einer Landesbehörde (Brücken)
und von zwei Bezirken einzuholen. Am interessantesten waren dabei die Verhandlungen auf
Bezirksebene, weil sich die Bezirksgrenzen in diesem Bereich als unklar herausstellten. Ein Weg wurde
an einem Fluss angelegt, wodurch die Wasserlinie verschoben wurde, welche aber die Bezirksgrenze
bildete. Somit lag der neu aufgeschüttete Weg bereits im Einflussgebiet des Nachbarbezirkes.
Aufgrund der komplizierten Situation einigten wir uns darauf, auf die bezirkliche Genehmigung zu
verzichten. Es zeigt sich hier sehr deutlich, wie zutreffend die Bauarbeiterweisheit "wer fragt,
bekommt nichts" für den öffentlichen Raum ist.

Die Räume, die zwar als öffentlich erscheinen, tatsächlich aber privat sind (Straßenland, Stadtmöbel
u.Ä.) bilden eine weitere Grauzone. In manchen Fällen ist es schwierig bis unmöglich, die
tatsächlichen Besitzverhältnisse zu klären. In einem Fall war sich das Grünflächenamt unschlüssig über
Besitzverhältnisse eines Gehweges in der Berliner Gropiusstadt, erst Vermessungen hätten Klarheit
gebracht. Der private Investor war anderer Meinung und ließ die Intervention, eine Bank von public
works, entfernen. Hierbei ist weniger die Unklarheit über Besitzverhältnisse problematisch - denn in
der subjektiv-konnotierten Wahrnehmung handelt es sich ohnedies immer um öffentlichen Raum,
sondern die jeweils spezifische Handhabung des Raumes. Private haben viel klarere Vorstellungen
über die Nutzung ihrer Räume und setzen diese auch konsequenter um als die dem Gemeinwohl
verpflichteten Behörden. So teilte z. B. die Wall AG in Berlin auf eine Anfrage im Jahr 2004 mit: "Die
Wall AG möchte derzeit das Projekt ‚Bushaltestellen in Tüten' nicht realisieren." Neben der
Vereinnahmung des Projektes, denn angefragt war eine Genehmigung, ist diskussionswürdig,
inwieweit Firmen über Handlungen in der Öffentlichkeit bestimmen dürfen, denn alle Bushaltestellen
wurden von der Wall AG betrieben. Hier kommt wieder die Bauarbeiterweisheit ins Spiel, wobei nicht
genehmigte Interventionen auf privaten öffentlichen Flächen, wie auch das obige Beispiel gezeigt hat,
kaum eine Chance haben, länger zu verweilen. Sie fallen schnell den Vorstellungen von Ordnung und
Sauberkeit der Besitzer zum Opfer. Auf öffentlichen Flächen ist die Möglichkeit, dass Eingriffe
überdauern weitaus größer. So steht z. B. eine andere Bank von publik works, die in der Gropiusstadt
bereits nach einer Woche abmontiert wurde, an einem anderen Ort bis heute.

Neben der Frage nach den Besitzverhältnissen spielen bei Genehmigungsverfahren immer auch
Bewertungen unter ästhetischen und politischen Kriterien eine Rolle, wobei die politischen
ausschlaggebend sind. So traf es einmal eine Aktion von Roi Vaara (er schlug vor, ein Loch in eine
Rasenfläche zu graben und seinen Kopf hineinzustecken, das Loch sollte dann wieder zugeschüttet
werden. Die Aktion war für einen Tag an unterschiedlichen Stellen geplant), die auf Grundstücken der
Wohnungsbaugesellschaft GEHAG GmbH stattfinden sollte. Aufgrund einer langjährigen
Zusammenarbeit ging ich davon aus, dass es sich um eine reine Formsache handeln würde, aber die
Genehmigung wurde verweigert. Für die GEHAG GmbH war die Performance problematisch, da die
Firma zu dieser Zeit viele Probleme mit Mietern hatte, die ihr Untätigkeit vorwarfen. So fand man die
Symbolik des "Kopf in den Sand Steckens" wohl zu treffend. Die Performance wurde dann ohne
Genehmigung durchgeführt, leider nur an einem Ort, anstatt wie geplant einen gesamten Tag lang an
unterschiedlichen Plätzen. Bei anderen Arbeiten wurde von behördlicher Seite darauf hingewiesen,
dass man bestimmte Thematisierungen nicht genehmigen würde, - Anträge wurden daraufhin
modifiziert. Im halböffentlichen Raum der U-Bahn in Berlin ist die inhaltliche Einflussnahme immer
präsent. Entscheidungsträger sind darauf bedacht, keine Themen anzusprechen, die als provokativ
empfunden werden könnten. Dies wurde stets mit Sicherheitsaspekten begründet, wobei auch die
Möglichkeit negativer Berichterstattung im Raum stand. Im Bereich der U-Bahn ist die Umsetzung
temporärer Interventionen per se schwierig, denn bereits die Auflagen für die zu verwendenden
Materialien sind zum Teil nicht einzuhalten, in Einzelfällen aber verhandelbar. Auf inhaltlicher Ebene
verschärfte sich die Situation nach dem 11. September 2001. Die Angst vor terroristischen Anschlägen
führte zu klareren Vorgaben seitens der Politik, die das Ermessen der Entscheider und
Entscheiderinnen bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) deckten und in weiterer Folge als
paradigmatisch verstanden wurden. Handelte es sich früher meist um verfassungswidrige Symbole
(Hakenkreuze etc.) oder um das allgemeine "No - Go"-Thema Graffiti, so wurde nunmehr der
Beurteilungsrahmen auf eine rigide inhaltliche Evaluierung ausgedehnt. Einen Verhandlungsspielraum
gab es nicht, zum Teil konnten Realisierungen durch Modifikationen gerettet werden. Ein Beispiel,
dessen Ablehnung nachvollziehbar erscheinen mag, aber doch die Frage aufwirft, warum man es
einfach nicht versuchen sollte, war eine von Christian Büchel konzipierte Idee, die er 2007 zur
Realisierung vorschlug. Eine modifizierte Variante der Arbeit "Mein Kampf" zeigte er auf der Frieze Art
Fair 2006: ein improvisierter Straßenstand, bestehend aus Europaletten der Deutschen und Polnischen
Bahn, Kartons mit Marlboro Aufdruck (Made in USA) und als Verkaufsgut die arabische Ausgabe von
Hitlers "Mein Kampf". Natürlich hochprovokativ gedacht und problematisch für eine Umsetzung in der
Öffentlichkeit. Aber bereits die bloße Nachfrage, ob eine Umsetzung möglich wäre, löste starke
Verärgerung und nur schwer wieder gutzumachende Störungen der Kommunikation aus - wenigstens
eine Diskussion hätte möglich sein müssen. Ein Jahr später wurden zwei Plakatentwürfe abgelehnt.
Ein Entwurf stammt von Stefan Micheel und zeigte in einiger Entfernung Hakenkreuzfahnen, die
während der Dreharbeiten für den Film "Operation Walküre" angebracht wurden. Das andere Plakat
entwarf Andreas Wegner und zeigte aufgehäufte Einkaufswagen, ein Sujet, das gemäß der BVG eine
gewalttätige Aktion abbilden könnte. Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, wurde auch
dieses Plakat nicht genehmigt. Möglichkeiten des Einspruches bestanden faktisch nicht. Hier wird
Kunst inhaltlichen Kriterien unterworfen, wie sie sonst nur in der Werbung vorherrschen. So können
künstlerische Interventionen ohne Weiteres aufgrund von potenziellen Provokationen von einer
Veröffentlichung ausgeschlossen werden. Wobei es einen kleinen Unterschied gibt: Die
Werbewirtschaft kann mittels ihrer Marktstellung durchaus Druck ausüben, um so immer wieder
Grenzen zu überschreiten.

Das, was im Allgemeinen als Freiheit der Kunst verstanden wird, gilt im öffentlichen Raum nicht, hier
entscheiden verschiedene Akteure nach kunstfremden Kriterien über Realisierungen oder deren
zwangsläufigen Modifikationen. Inwieweit hierbei inhaltliche oder ästhetische Qualitäten eine Rolle
spielen, ist meist nicht auszumachen, da diese nur in seltenen Fällen artikuliert werden. Den im
öffentlichen Raum arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern ist hierbei durchaus ihre Verantwortung
bewusst, indem sie sich einem kontextsensitiven (site - specific) Agieren verpflichtet fühlen.
Provokationen, die in einem explizit definierten und somit geschützten Kunstumfeld (Museen, Galerien
etc.) als konsequent und kontextorientiert interpretiert werden können, würden im öffentlichen Raum
nicht funktionieren. Künstlerische Interventionen in der Öffentlichkeit sind immer für einen
spezifischen Kontext erdacht. Die höchst divergierenden Interessen aller Beteiligten können hierbei
nur schwerlich als Basis für eine Entscheidung über eine dem Werk inhärente mutmaßliche
Provokation herhalten. So wird häufig eine Genehmigung verwehrt, ohne das Kunstwerk einer
näheren Analyse zu unterziehen. Die mentalen Sperren werden unhinterfragt akzeptiert, Grenzen als
gegeben hingenommen, ein Transfer in die Wirklichkeit, in die de-facto Situation, schon von
vornherein ausgeschlossen. Der gefahrlosere Weg ist ganz einfach (fast) immer der der
Nichtrealisierung.

Aufmerksamkeit - wofür?

Im öffentlichen Raum gewinnt der Kampf um die Aufmerksamkeit ein immer größeres Gewicht, da vor
allem die sogenannten Out Of House Medien (also Außenwerbung) rasant wachsen (bezüglich des
Umsatzes und der Flächen). Die Außenwerbung braucht ein Umfeld, das die Aufmerksamkeit der
Vorbeikommenden garantiert und Störungen vermeidet, etwa durch unklare oder auch - schöne
stadträumliche Situationen (Brachen, Ruinen, alte abgenutzte Plätze, Müll etc.). Stadtplanerisch
betrachtet decken sich diese Wünsche mit denen des Einzelhandels: klare räumliche Strukturen,
Ausschluss unerwünschter Erscheinungen, die von Unsauberkeit über Artikulationen (Straßenmusik,
politische Anliegen, Betteln etc.) bis hin zu Personengruppen reichen können. Der Konsument soll sich
voll und ganz den Geschäften und der Außenwerbung widmen können. Die Kapitalisierung der
öffentlichen Räume, d.h. die funktionale Ausrichtung auf die Akkumulation von Umsatz, schreitet
voran, vermeintlich störende Nutzungen, etwa altruistisches oder hedonistisches Verhalten, das nicht
auf Konsum zielt, wird zusehends in die Peripherie gedrängt. Für die Künste wird die Luft in den
Städten dünner, sie sollen sich nunmehr primär marktwirtschaftlichen Aspekten unterordnen, wobei
sie einen gewissen Aufmerksamkeitsbonus genießen, der sich mannigfaltig nutzen lässt. Kunst wird so
immer mehr instrumentalisiert, als dass sie sich frei entfalten könnte, - abgesehen von den sowieso
schon bestehenden Interessen seitens der Stadtplanung bis hin zur Sozialpädagogik.

Das städteplanerische Konzept eines innerstädtischen Einkaufgebietes wird aus ökonomischer Sicht,
dem (verdichteten) Einzelhandel, mit dem Konzept der Shopping Mall optimal umgesetzt. Die
Simulation von öffentlichem Stadtraum bis hin zu kulissenhaften architektonischen Einbauten, etwa
einer italienischen Piazza in einem kontrollierbaren und abgeschlossenen privaten Raum, forciert die
Generierung und Steuerung von Aufmerksamkeit zum Zweck des Konsums bis zur Perfektion.
Spontane Äußerungen sind hier kaum möglich und werden innerhalb kürzester Zeit unterbunden, die
Konsumentinnen und Konsumenten sind sich durchaus bewusst, dass sie sich in einer künstlichen
privaten Welt bewegen, und schätzen den geregelten (geschützten) Raum. Ein Experiment war für
mich in dieser Hinsicht sehr einschneidend: Die Performancegruppe monochrom circus aus Japan war
im Rahmen des Pilotprojektes Gropiusstadt eingeladen, Aktionen in der Öffentlichkeit durchzuführen.
Der Gruppe wurde bei ihren spontanen Auftritten viel positive Resonanz entgegengebracht. Der
Versuch in der dortigen Shopping Mall (Gropiuspassagen) zu musizieren, scheiterte bereits im Ansatz:
Die Hausordnung verbietet das Tragen von unverpackten Musikinstrumenten. Einige Tage später
wurde mit Genehmigung des Centermanagements die Aktion wiederholt. Die Konsumentinnen und
Konsumenten reagierten durchwegs abweisend, sie fühlten sich offensichtlich durch die spontane
Handlung provoziert.

Außerhalb von Einzelhandelskonzentrationen, sei es in der Shopping Mall oder in der städtischen
Fußgängerzone, sind die Begehrlichkeiten etwas anders gelagert, hier geht es vielfach um
immaterielle Ziele, wie sie im "Urban Branding" verfolgt werden. Die Aufmerksamkeit - gebündelt
durch möglichst spektakuläre künstlerische Interventionen - soll hier dem Stadtmarketing
zugute kommen. Die simple Strategie hierbei ist, durch positive Berichterstattung das Image der Stadt
(Kreis, Bezirk etc.) aufzupolieren bzw. überhaupt zunächst einmal in den Fokus der Berichterstattung
zu gelangen. Entscheidungsrelevant bei der Auswahl der Aktivitäten ist eine teilweise sehr stringente
Kompatibilität zum postmodernen Begriff "Image City". Trotz widersprüchlicher Forschungsergebnisse,
die der Überhöhung des kulturellen Erscheinungsbildes und hier vor allem seiner "Leuchttürme" eine
viel geringere Relevanz bei der Standortwahl einräumen als prognostiziert, ist das Thema in den
Köpfen der Entscheider und Entscheiderinnen weiterhin virulent.

Natürlich wird die bildende Kunst mit all ihren Facetten von der Durchkapitalisierung aller
Lebensbereiche nicht ausgenommen, Kunst ohne dezidierten Marktwert ist nicht (mehr) vorstellbar.
Neben den kursierenden Kunstmarktpreisen ist es die Aufmerksamkeit, die den Wert der Ressource
Kunst bestimmt. Hierfür ist eine möglichst große Aufladung (Auratisierung) der Objekte (Kunstwerke)
zwingend, das noch emotional "veredelte" Alleinstellungsmerkmal bildet die Grundlage für eine
(monetäre) Wertschöpfung. Paradoxerweise ergibt sich so eine Situation bei der zwar immer mehr
Besucherinnen und Besucher in Kunstausstellungen gezählt werden, - sich die Distanz zum Gezeigten
aber vergrößert. Von dieser Entwicklung ist auch die temporäre interventionistische Kunst in der
Öffentlichkeit nicht ausgenommen. Dies zeigt sich in einem distanzierten bis ablehnenden Umgang
(abhängig von den "bespielten" Räumen) der zufällig Vorbeikommenden. Die Inszenierung
sogenannter populärer Ausstellungen bietet einer wachsenden Besucherschar eindeutig
klassifizierbare, leicht verdauliche Kunstwerke an, wodurch die erforderlichen Besucherquoten für die
Geldgeber eingehalten werden können. Kunst als Mittel zur Aufmerksamkeitserzeugung mutiert hier
zu einer statistischen Variablen.

Nachdenken über Streetart

Ein Medium, das sich traditionell mit dem Aufmerksamkeitsdefizit gesellschaftlicher (marginalisierter)
Gruppen auseinandersetzt und Flächen nutzt, um individuelle Botschaften zu kommunizieren, die auch
von den Out of House Medien beansprucht werden (U-Bahnen, Hauswände etc.), ist die sogenannte
Streetart. In ihren Ausprägungen ist sie überindividuell, kommuniziert zwischen den Gruppen der
Akteure und der Öffentlichkeit, um politische wie ästhetische Ansprüche zu vermitteln. Die eigenen
ästhetischen Vorstellungen, durchaus konträr zum Mainstream, sollen kommuniziert werden. Das
Recht auf diesen Ausdruck wird dabei von der massenhaft auftretenden Außenwerbung abgeleitet.
Dabei wird die Funktionalästhetik, etwa von Verkehrswegen oder Sozialsiedlungen, kritisch hinterfragt,
zum Teil ein explizit politischer Anspruch vertreten, dies aber nicht offensiv kommuniziert. Ein Beispiel
für eine politisch agierende Gruppe ist CBS aus Berlin, die einerseits stark innerhalb der Szene
kommunizieren, etwa durch Kritik an "übertriebenen" Selbstdarstellungswillen (Bombing) durch ein
Graffito am S-Bahnhof Gesundbrunnen "Bomben bis der Arzt kommt". Andererseits intervenieren sie
durch politische Aktionen inklusive Statement, wie bei der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst
(NGBK) am Alexanderplatz: Der Künstler Aage Langhelle hatte 2004 den Schriftzug "ddr" in 32
gängigen Werbelogos transformiert und sie an den Hintergleisflächen am U-Bahnhof Alexanderplatz
(U2) aufgehängt. Eine dieser Tafeln (3,60m x 2,56m) wurde von der Sprayergruppe CBS unbemerkt
ausgetauscht, statt "ddr" stand dort nun "cbs". Im Internet erklärte CBS ihre Aktion mit der Kritik am
künstlerischen Vorgehen, da ihrer Meinung nach sich die Arbeit nicht kritisch mit gängigen
Werbestrategien auseinandersetzte, sondern sie nur kopiere. Nach einigen Aufforderungen und
Drohungen vonseiten der NGBK setzten sie ihre waghalsige Aktion fort, entfernten ihr Werk von der
Hintergleisfläche und hängten die angeeignete langhelle´sche Tafel an die Fassade des benachbarten
Warenhauses Kaufhof, alles wieder unbemerkt.

Das letztgenannte Beispiel zeigt eine subversive Seite der Motivation und des Ausdruckes jenseits
einer visuellen Manifestation. Motivation ist immer auch eine Überlistung des Systems, das Erreichen
von unmöglichen Orten. Die Ausdrucksformen decken die gesamte Bandbreite von Performance bis
hin zu installativen Interventionen ab, vom Schaukeln in der Kuppel des Sonycenters bis hin zu
nächtlichen Draisinenfahrten auf der Berliner S-Bahntrasse, alles außerhalb der öffentlichen
Wahrnehmung, manchmal durch eine Dokumentation kommuniziert. Die Grenzen zu künstlerischen
Interventionen sind dabei fließend, wobei die Akteure aus völlig unterschiedlichen Zusammenhängen
stammen und mit anderem Verständnis an die Arbeit gehen (in Hinblick auf Legalität, Inhalt u.a.).
Alle körperlichen Ausdrucksformen (Skateboard, Breakdance, Parcours etc.) der Streetart, werden
schon seit langer Zeit vonseiten des Sports und vor allem der Sportbekleidungsfirmen popularisiert
und in die Vermarktungsmaschinerien integriert. Der Kunstmarkt interessiert sich phasenweise für
Ausschnitte des Phänomens. Seit einigen Jahren ist wieder ein gesteigertes Interesse an Graffiti zu
verzeichnen. Interessanterweise verläuft die Entwicklung dieses Mal etwas anders als bei früheren
"Verwertungszyklen", nicht nur einige Graffitikünstler schaffen es in Galerien und auf den Markt, das
Interesse wird sogar so groß, dass einige Künstler den umgekehrten Weg beschreiten, und versuchen
über den Umweg der Straße in eine Galerie zu gelangen. Auf der Straße lässt sich momentan mit
etwas Glück mehr Aufmerksamkeit generieren als es mit selbst organisierten Ausstellungen oder in
kleinen Galerien jemals möglich wäre.

Zu guter Letzt

Alles in allem eine recht unübersichtliche Gemengelage. Die temporäre interventionistische Kunst in
der Öffentlichkeit steht an ihrem Anfang und ist weit davon entfernt, Geschichte zu sein. Unabhängig
von der inhaltlichen und stofflichen Ausprägung der Werke, ist eine Neubestimmung der Position im
Beziehungsgeflecht der Produktion notwendig. Diese Kunstform hatte immer einen "revolutionären"
Kern, geht es doch darum sich die "Produktionsmittel" anzueignen. Im Fall der Kunst sind dies
Ausstellungsorte, die die Akkumulation von Aufmerksamkeit generieren. Der Schritt nach draußen ist
auch eine Institutionskritik, die nicht nur den Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten aus dem
Kosmos der Künste, sondern auch den Zugang von Künstlerinnen und Künstlern und deren
Abhängigkeiten thematisierte. Gerade in Zeiten der Kapitalisierung aller Lebensbereiche, einer
fortschreitenden Definition von Kunst (und Kultur) über ökonomische Kriterien, wird die (Rück-)
Eroberung autonomer Handlungsräume wichtiger denn je. Für die interventionistische Kunst bedeutet
dies zunächst eine Rückbesinnung auf spontane oder geplante künstlerische Handlungen in der
Öffentlichkeit (etwa Fluxus) ohne Ankündigung oder Genehmigung. Vor allem in der Entwicklung von
"smarten" temporären Interventionen, die auf große Gesten und eine Bildproduktion weitestgehend
verzichtet - um Genehmigungen, und damit Einflussnahmen von Außen, überflüssig zu machen - liegt
ein spannungsgeladenes Potenzial. Dieses Plädoyer lässt die Inhalte nicht unberührt, "smart" bezieht
sich auf den Mitteleinsatz und der unkapriziösen Setzung des Werkes in der Öffentlichkeit. Aufgrund
der "Aussetzung" im ökonomischen Sinne wird es faktisch wertlos und verliert häufig auch noch seine
schützende Zuschreibung als "Kunst". In dieser Situation muss sich ein Werk durch seine eigene Kraft
durchsetzen und gibt gleichzeitig ein Beispiel für die Artikulationsmöglichkeiten, die allen zur
Verfügung stehen. Es ist Zeit, die Straße nicht der sogenannten Streetart zu überlassen. Ohne in
Konkurrenz zu ihr treten, geht es darum, hinauszugehen um die "traditionelle" interventionistische
Kunst in der Öffentlichkeit weiter zu entwickeln und ein Stück der Autonomie zu gewinnen, die der
Streetart schon immer eigen ist.